Der Blaubär lebt

 

„Käpt’n Blaubär ist tot“. Das meldet die Bild. Es ist keine Lüge, keine Fake-News. Leider nicht. Gemeint ist, dass Wolfgang Völz gestorben ist, his master’s voice, die Stimme des Herren, die Stimme des Bären.

Ich habe ihn kaum gekannt – nur von einigen Sprachaufnahmen, bei denen ich dabei war. Er hat mir, wenn ich nichts vergessen habe, einmal eine Postkarte geschrieben. Zu seinem 85. Geburtstag wollte ich ihm gerne eine Kleinigkeit schenken und habe es dummerweise verpasst. Das bedauere ich nun. Ich kann nur jedem empfehlen, in solchen Dingen nicht so nachlässig zu sein, wie ich es war.

Wolfgang Völz hat dem Käpt’n Blaubär nicht nur seine Stimme geliehen. Es war viel mehr – und es war nicht nur geliehen. Es war ein Geschenk. Ich bin überzeugt, dass ein großer Teil der Beliebtheit, die der Bär für sich verbuchen kann, von seinem Konto eingezahlt wurde. Wenn man heute ein Bild vom Blaubär sieht – sei es eine Kinderzeichnung –, dann hat man sofort die unverkennbar mürrische Herzlichkeit seiner Stimme vor seinem inneren Ohr und muss unwillkürlich schmunzeln.

Wolfgang Völz hat dem Bären die Seele eingehaucht. Der Blaubär ist nämlich viel zu groß für ein Kuscheltier. Man spielt nicht mit ihm, der Blaubär spielt mit uns. Wie macht er das?

 

Man kommt nicht mehr aus dem Staunen heraus

Die Welt der Kinder ist voller Rätsel und Wunder. Um das zu beschreiben, sagt man gerne, dass man plötzlich in einen Zustand geraten ist, bei dem man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Je älter man wird und je mehr einem die Welt entzaubert wird, desto leichter fällt es einem, aus dem Staunen wieder herauszukommen.

Man hat dann eher das Problem, dass man nicht wieder in das kindliche Staunen, das man so gerne noch einmal erleben möchte, hineinkommt. Raus ist leicht, aber wieder rein ist schwer. Doch der Blaubär macht es möglich. Er macht es uns vor.

Dieses bisschen Wasser da in dem ollen Eimer, das ist … dieses bisschen Wasser da, das ist … das ist, das ist … das ist der letzte Rest vom Achten Weltmeer. Früher gab es nämlich acht Weltmeere, müsst ihr wissen. Und dieser einsame Gummistiefel da … nein, nein, das ist kein gewöhnlicher Gummistiefel … darin haust der gemeine Stiefelolm, ein äußerst heimtückisches Wesen. Und dieses seltsame Dreieck, das ihr da in der Rumpelkammer gefunden habt, Kinners, das dürft ihr nicht wegschmeißen. Das ist ein Zacken von Neptuns Krone.

Die Figur könnte leicht lächerlich sein. Es ist ein Opa, der keine rechte Autorität gegenüber den Kleinen hat, die sowieso alles besser wissen. Als Kapitän hat er auch schon bessere Tage gesehen. Mit seinen Lügengeschichten will er uns doch nur einen Bären aufbinden. Doch die Stimme von Wolfgang Völz macht aus dem pädagogischen Versager einen liebevollen Opa, er gibt der abgewrackten Seefahrer- und Abenteuerromantik noch mal eine eigene Stimme. Er lügt nicht wirklich, er ist die Gallionsfigur für eine Fantasie, die es gut mit uns meint und uns auf den Glanz des Paradiesstaubes hinweist, der gelegentlich in den kleinen Dingen aufscheint, und den wir beinahe nicht bemerkt hätten.

 

Die Kunst des Lügens

Wisst ihr eigentlich, wer die Pommes frites erfunden hat? Gut, das wisst ihr womöglich schon. Dann ich will ich mich anderen Fragen zuwenden. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auf einige der most frequently asked questions einzugehen, die immer mal wieder an mich heranflattern. Also: Wie war das denn so mit dem blauen Bären? Nun mal ehrlich.

Am Anfang standen Gute-Nacht-Geschichten, die Walter Moers geschrieben und gezeichnet hatte. Das war der Urknall der Blaubär-Legende. Mit solchen Geschichten sollten die Kinder in den Schlaf gelogen werden. Hein Blöd war noch nicht mit an Bord und konnte noch nicht stören. Die Bärchen, von denen man nur die Köpfe sehen konnte, lagen schon im Bett, sie konnten noch nicht mit den Augen rollen, merkten aber sofort, wenn die Geschichte gelogen war.

Davon wollte die ‚Sendung mit der Maus‘ 104 Geschichten. Geschichten in der Art. 104 kann man gut durch 52 teilen. Das ergibt 2. Es reicht dann für 2 Jahre, in denen nicht etwa die Parole „Sonntags nie“ lautet, wie der berühmte Film, sondern: Sonntags immer. Danach sollten die Geschichten wiederholt werden, weil man davon ausging, dass es alle zwei Jahre neue Kinder gibt. Von diesen 104 Geschichten habe ich etwa ein Drittel geschrieben. Wir waren zu dritt am Werk: Walter Moers, Rolf Silber und ich.

Wir haben viel telefoniert, uns aber nicht großartig abgesprochen. Wir haben vor allem aufgepasst, dass es keine Überschneidungen gibt, ansonsten hat jeder gesehen, wie er zurechtkommt. Wir waren ein Team aus drei Einzelgängern: Rolf Silber war als Filmemacher bekannt, Walter Moers als Comic-Zeichner, ich als Kinderbuchautor.

Die Geschichten sind schon verschieden. Die echten Fans können schon lange vor dem Abspann erkennen, ob es eine Folge von Walter Moers, von Rolf Silber oder von mir ist. Als ich genug davon geschrieben hatte, wusste ich, wie es geht, ich hatte das Muster durchschaut und hätte leicht noch mehr Geschichten schreiben können. Aber es hätte dann vielleicht nicht mehr so viel Spaß gemacht wie in der ersten Zeit, als ich bei Morgennebel ins Ungewisse losgefahren bin. Spaß hat es schon gemacht. Nun war ja auch Hein Blöd dabei. Immerhin weiß ich jetzt, wie man lügt.

 

Drehbücher sind zum Drehen da

Meine Tochter mochte die Geschichten nicht. Sie war damals 2 oder 3 Jahre alt (jetzt ist sie 30, da kann man mal sehen, wie lange das schon her ist …), Kinder in dem Alter verstehen keine Ironie, sie mögen keine Doppelbödigkeit. Wenn der Blaubär mit einem Bügeleisen – mit dem Hein Blöd gerade die Plattfische gebügelt hat, die ja gerade deshalb Plattfische heißen, weil sie so platt sind – hinter Hein her rennt und droht „Ich bügele dir gleich deinen Schwanz!“, dann finden Kinder das nicht lustig.

Ihr Herz schlägt für Hein. Der ist lieb. Warum ist der Käpt’n so böse? Hein Blöd ist, wie ein Kind ist: Er ist tollpatschig, hat aber stets gute Laune. Er ist hilfsbereit und möchte alles selber machen, kann es aber nicht. Er ist wie Happy Jack aus dem Song von den Who: they dropped things on his back and lied, lied, lied, but they couldn’t stopp Jack from being happy.

Ich habe mal gehört, dass die Hein-Blöd-Wärmflasche die beliebteste Wärmflasche in Deutschland ist. Es würde mich nicht wundern. Irgendwas macht Hein Blöd richtig. Eine gewisse Wärme geht von ihm aus.

Dann habe ich Geschichten geschrieben, die es nicht etwa im Fernsehen, sondern in Buchform gibt. Ich habe das den Kindern so erklärt: Für das Fernsehen muss man Drehbücher schreiben, ich mag aber lieber Bücher zum Lesen. Deshalb musste ich die Bücher so lange drehen, so lange zurückdrehen, bis wieder normale Bücher daraus geworden sind.

Es stimmt sogar. Als ich klein war, gab es nicht nur kein Farbfernsehen, es gab überhaupt kein Fernsehen. Heute ist das anders. Ein Mädchen hat mir dann die Vorzüge des Fernsehens aufgezählt, damit ich das richtig verstehe. Nichts gegen Bücher, meinte sie, aber Fernsehen sei nun mal besser. Es sei nämlich so – also: Fernsehen ist eine natürliche Fähigkeit, Lesen muss man erst lernen. Das leuchtete mir ein.

 

In achtzig Lügen um die Welt

Dann war der Blaubär tot. Das dachte ich jedenfalls, als es eines Tages eine Käpt’n-Blaubär-Briefmarke gab. Ich war als Junge ernsthafter Sammler und war überzeugt davon, dass alle Helden, die auf Briefmarken abgebildet sind, inzwischen tot sind. Außer Juri Gagarin und Heuss (bei dem war ich nicht sicher). Ich hatte früher sogar gemeint, dass alle, die Bücher geschrieben haben – also Leute wie Mark Twain und Michael Ende – inzwischen tot sind. Es mochte zwar sein, dass es vereinzelt Bücher gab von Leuten, die noch lebten, aber die waren nicht so gut wie die Bücher von toten Dichtern. Es ist nicht der einzige Irrtum meiner Kinderzeit.

Es gab nicht nur Briefmarken. Inzwischen war ein buntes Blaubär-Merchandising herangewachsen mit vielerlei Sachen zum Spielen, zum Anziehen und zum Naschen – einschließlich einer Fußmatte mit Hein Blöd und einer Blaubär-Telefonkarte, mit der man am Telefon lügen durfte.

Ich habe sie alle: den Käpt’n in Lebensgröße (jedenfalls in der Größe, von der Kinder vermuten, dass der Bär aus dem Fernsehen so groß sein müsste), Hein Blöd und die drei kleinen Bärchen. Damit bin durch die Lande gereist und in Bibliotheken vor Anker gegangen.

Einmal war ein etwa dreijähriges Kind im Publikum, das mir erklärte: Den kenne ich … das ist der Blaubär … der kommt immer zu uns … Hier schlich sich eine Ahnung in die Stimme des Kindes. Es merkte plötzlich, dass es nicht alleine im Wohnzimmer war, sondern in der Bibliothek, zusammen mit anderen Kindern, die ebenfalls glaubten, dass der blaue Bär immer sonntags zu ihnen persönlich in die Wohnung kommt. So langsam dämmerte dem Kind, dass das Fernsehprogramm zu allen Kindern kommt. So ist das in der modernen Welt. Das Kind wirkte enttäuscht.

Ich habe deshalb versucht, den Kindern die Figuren wieder nah zu bringen und habe die kleinen Bärchen, Hein Blöd und den Kapitän zum Streicheln ausgeliehen. Dabei habe ich das wahrgemacht, was der Blaubär immer voller Stolz erzählt und was man ihm nicht so recht glaubt. Er sagt bekanntlich gerne, dass er schon überall auf Welt war.

Ich auch.

Der Blaubär war in Australien. Da habe ich mir mit australischen Deutschlehrern eine Geschichte ausgedacht, die erklärt, worum die Flagge Australiens so aussieht, wie sie nun mal aussieht. Ich war mit einem Kreuzfahrtschiff in Island und Spitzbergen und habe mir von den Kindern an Bord erklären lassen, dass die Eisbären früher alle blau waren, bis eines Tages … Einmal ist der Blaubär bekanntlich mit einer ganzen Ladung Eulen nach Athen gefahren, ich bin mit einer ganzen Ladung Lügengeschichten nach Kreta gereist. Der Weihnachtselch ist mit Tempo bis nach Ägypten gelaufen und ich habe vor Madagaskar gelegen und habe vor Madagaskar gelogen. Das ist wirklich wahr.

Mein wunderbares Leben, das ich mit dem blauen Bären geführt habe und das mich in den sieben Weltmeeren herumgeführt hat – bis hin zum Dümmer See –, das habe ich zu einem nicht geringen Teil dem Sound der Stimme von Wolfgang Völz zu verdanken. Das hätte ich ihm gerne selber mal gesagt.

 

 

Weihnachten mit Käpt’n Blaubär

Weihnachtskugeln liegen überall rum, Strohsterne liegen überall rum, angefangene Adventskalender liegen überall rum, blaues Einwickelpapier mit kleinen Ankern drauf liegt rum – kurz gesagt: Das schöne Schiff von Käpt’n Blaubär ist ein einziges Chaos.

Hein Blöd sitzt in der Ecke und singt: „Oh, Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie blau sind deine Blätter!“

„Grün!“, brüllen die kleinen Bärchen im Chor. „Grün, Hein Blöd!“

„Oh, Tannenbaum, oh Tannenbaum …“, Hein Blöd fängt noch mal an. „ … wie rot sind deine Blätter!“

„Grün!“, brüllen die Bärchen wieder. „Grün muss das heißen, du Dösbattel!“

„Ach so.“ Hein Blöd überlegt kurz und fängt noch mal an: „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie weiß sind deine Blätter!“

„Gü-ü-ü-ü-ü-ü-ü-ün!“, brüllen die Bärchen.

„Da ist aber überall so weißes Zeug drauf, nich‘?“, verteidigt sich Hein Blöd und zeigt mit seinen Patschhändchen auf den Tannenbaum.

„Meinst du etwa das Lametta?“, fragt das rote Bärchen.

„Das ist silber, nicht weiß“, verbessert das gelbe.

„Na gut, dann eben silber.“ Hein Blöd fängt mal an. „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum, wie silber …“

„Gü-ü-ü-ü-ü-ü-ü-ün!“, brüllen die Bärchen.

 

 

 

 

Opa kommt.

„Ruhe!“, schnauzt er. „Was ist denn das für ein Gebrüll! Ruhe, sag ich, Ruhe! Weihnachten darf es getrost ein bisschen friedlich zugehen auf meinem Schiff. Weihnachten nennt man bekanntlich auch die ‚stillen Tage‘, da sehnen sich alle nach Ruhe und Frieden.“

Er schaut sich um. „Beim Klabautermann“, brummt er und es klingt nicht gerade so, als wenn er besonders gute Laune hätte, „wie sieht das denn aus!? So ein Durcheinander hab ich mein Lebtag nicht gesehen, das sieht ja aus, als wär hier ein Wirbelwind durchgebraust. Hier wird sofort aufgeräumt, sofort sage ich!“

Die Bärchen maulen ein bisschen.

Hein Blöd ist still.

 

„Jawohl, aufgeräumt wird! Und zwar sofort! Mein Schiff ist kein Wrack! Hier herrscht Ordnung. Gerade vor Weihnachten. Da wird aufgeräumt! Da machen wir uns das hier ein bisschen schön, ein bisschen gemütlich, ein bisschen beschaulich … Was tuschelt ihr denn so? He? Was gibt es da zu tuscheln?“

Da scheint es tatsächlich was zu geben. Die Bärchen tuscheln noch ein bisschen weiter, schließlich sagt das rote: „Na gut, wir räumen auf. Aber erst, wenn du uns ne Geschichte erzählst.“

Opa braust auf: „Kommt überhaupt nicht in … Na gut. Erst ne Geschichte. Einverstanden. Wenn ich euch damit einen kleinen Gefallen tun kann. Da fällt mir auch zufällig gerade eine ein. Also, abgemacht?“

„Abgemacht!“ Das gelbe Bärchen stimmt sofort zu.

Auch das grüne Bärchen ist mit der Vereinbarung einverstanden: „Abgemacht! Erst ne Geschichte, dann räumen wir auf.“

 

„Na, dann hört mal gut zu.“ Opa setzt sich schwerfällig wie eine Seekuh in seinen Sessel. Die Bärchen hocken sich drum herum. Hein Blöd bleibt einfach in der Ecke sitzen.

„Also“, fängt der Opa an, „einmal musste ich mit meinem Segelschiff rechtzeitig zur Weihnachtsinsel. Da kommt man nur sehr schwer hin, müsst ihr wissen, eine Fahrt dahin ist äußerst gefährlich. Ich hatte mein ganzes Schiff voll mit Elchen, mit denen ich dringend zur Weihnachtsinsel musste, weil sie helfen sollten, rechtzeitig die Weihnachtspakete zu verteilen …“

„Elche?“, rufen die Bärchen wie aus einem einzigen Bärenmaul. „Wie bitte? Elche?“

„Aber Opa!“, seufzt das rote Bärchen. „Elche doch nicht!“

„Nein“, brummt das gelbe. „Weihnachtspakete werden nicht von Elchen ausgetragen, nicht von Elchen.“

„Nein, wirklich nicht, Opi“, erklärt das grüne Bärchen in aller Ruhe. „Die werden von rotnasigen Rentieren ausgetragen.“

„Genau“, sagt Hein Blöd. „Rentiere können nämlich viel besser rennen. Deshalb heißen sie ja auch Renntiere.“

„Nein, Elche!“ Opa besteht drauf. „Ich muss es ja wissen.“

„Der Alte verwechselt so langsam die Tiere“, vermutet das gelbe Bärchen und alle drei fangen an zu kichern. Hein Blöd schließt sich mit leichter Verspätung an und kichert auch ein bisschen mit.

„Doch, Opi, ganz bestimmt“, versucht es das rote Bärchen noch mal in Ruhe, „es sind Rentiere. Rentiere. Rentiere.“

 

 

 

 

„Normalerweise schon.“ Das gibt Opa zu. Das ist selten. Er gibt normalerweise nie freiwillig etwas zu. „Und wenn die Rentiere alle erkältet sind? Was dann?“, fragt er streng, „was dann?“

Da sind die Bärchen still. Hein Blöd auch.

„Das kann leicht passieren. Bei dem Mistwetter eigentlich kein Wunder“, fährt der Opa fort und kommt langsam wieder in Schwung. „Und just in diesem Jahr war es passiert. So ein Pech aber auch: Alle Rentiere waren erkältet. Alle. Tja. Da hatten wir das Schlamassel. Da mussten dann eben die Elche einspringen. Die haben sich übrigens gut bewährt. Die Elche sind später noch öfter mal eingesprungen.“

„Weil die so gut springen können?“, fragt Hein Blöd. „Liegt es vielleicht daran? Das hab ich mal irgendwo gehört. Sie sollen sogar sehr gut springen können, deshalb können die auch gut einspringen …“

„Pssst!“, sagen die Bärchen. „Halt die Backen! Weiter!“

Hein Blöd ist still.

 

„Tja, da musste ich also die Elche rechtzeitig zur Weihnachtsinsel bringen“, fährt der gute Opa und erfahrene Seebär fort, „aber da kommt man nur sehr schwer hin, wie ich schon sagte, eine Fahrt dahin ist äußerst gefährlich. In der ganzen Gegend herrscht nämlich absolute Windstille!“

„Absolute Windstille? Wie bitte?“ Die Bärchen haben wohl nicht richtig gehört.

„Und wie bist du da überhaupt vorangekommen?“, fragt das rote Bärchen.

„Mit einem Segelschiff? Hä? Bei absoluter Windstille? Wie das denn, bitte schön? Das geht doch überhaupt nicht. Also wie? Keine Lügen mehr!“, warnt das grüne Bärchen vorsichtshalber.

Schon reden sie wieder alle wild durcheinander:

„Ja, wie denn?“

„Nun sag schon!“

„Das würde ich auch gerne wissen!“ „

Los, weiter! Sag schon! Los, los!“

„Wie soll das denn gehen?“

„Hä?“

 

 

 

 

„Mit Hilfe der Elche.“ Opa bleibt ganz ruhig. „Die mussten alle an Deck antreten und in die Segel pusten: Fffft, fffft, fffft!“

Opa pustet auch, um das anschaulich vorzuführen. „So ging das: Fffft, fffft, fffft. Das war recht mühsam: Fffft, fffft, fffft. Doch so kamen wir wenigstens voran. Wenn auch nur langsam. Aber immerhin. Allerdings hatte ich nicht bedacht, wie sehr die Elche durch das viele Pusten aus der Puste kommen.“ Der gute Opa kommt selber auch aus der Puste, seine Stimme wirkt schon ganz wackelig.

Doch er erzählt wacker weiter: „Aber … aber … für so außergewöhnliche Anstrengungen hatte ich nicht genug Proviant an Bord. Und da war es dann passiert. Die Elche hatten schon am ersten Tag den ganzen Knäckebrot-Vorrat aufgegessen. Da war nichts mehr von da. Alles weg. Es waren nicht mal mehr Krümel übrig.“

Opa schnauft ergreifend. Es wird einen Moment lang still an Bord.

„Da lagen sie nun schlaff an Deck, die armen Elche“, Opa fährt mit leiser Stimme fort, „sie trommelten mit letzter Kraft auf die Planken und riefen so laut sie das unter den Umständen überhaupt noch konnten: Knä-cke-bröd! Knä-cke-bröd! Wir wollen Knä-cke-bröd! Knä-cke-bröd! Sie verlangten immer wieder: Knä-cke-bröd! Knä-cke-bröd! Knä-cke-bröd!“

Käpt’n Blaubär lässt eine kleine Pause entstehen: „Ihr müsst wissen, dass man unter Elchen ‚Knäckebröd‘ sagt, statt Knäckebrot. Die kommen nämlich alle aus Schweden und Umgebung, diese Biester, da spricht man das so aus.“

Die kleinen Bärchen nicken gelangweilt und lassen genervt die Augen rollen. Das hatten sie sich schon gedacht.

„Weiter!“, rufen sie, „weiter, weiter!“

 

 

Opa schüttelt traurig den Kopf. „Es ging aber nicht weiter. Leider nicht. Das war ja das Problem. Ich hatte kein Knäckebröd mehr. Keinen Proviant, nichts. Es war nichts zu knabbern da, nichts, kein Zwieback, kein Studentenfutter, kein Knäckebrot, einfach nichts. Auch nichts zu trinken, kein Wasser, keine Brause, kein Lebertran … nichts, rein gar nichts. Da machten mir die Elche schlapp. Auch die Segel hingen nur noch schlaff am Masten.“

Der Käpt’n schüttelt traurig den Kopf, als müsste er immer noch leiden, wenn er nur daran denkt. Es war aber auch schlimm.

„Oh, weh!“, stöhnt er. „Die Elche hingen schlaff an Deck, die Segel hingen schlaff am Masten. Ein Jammerbild für die gesamte Christliche Seefahrt. Wir saßen fest. Das Schiff bewegte sich keinen Millimeter vorwärts. Es war schrecklich. Dazu kam dann noch die brüllende Hitze. Nicht auszuhalten war das. Sogar ich musste mir die Ohren zuhalten.

 

„Wir müssen uns auch gleich die Ohren zuhalten“, stöhnt das gelbe Bärchen: „Diese brüllenden Lügen aber auch!“

Opa schnauft nur. „Tja …“

„Und dann?“, fragt das rote Bärchen ungeduldig, als ihnen die Pause, die Opa Blaubär macht, zu lang wird.

„Seid ihr dann alle verdurstet und verhungert?“, fragt Hein Blöd und antwortet gleich selber: „Das ist aber schade, Käpt’n, wirklich wahr, das tut mir echt leid.“

„Was habt ihr denn nun gemacht?“, will das grüne Bärchen endlich wissen.

„Ja, was denn nun?“

 

 

 

 

„Nun ja“, sagt Opa, „das war die Not groß. Aber als erfahrener Kapitän, der schon alle Sieben Weltmeere besegelt hat und höchstpersönlich die Reste vom Achten Weltmeer aufbewahrt. Die habe ich bekanntlich in einem Eimer im Lagerraum …“

„Wissen wir schon!“, unterbrechen die kleinen Bärchen.

Na, gut. Opa erzählt weiter: „ Gerade an Weihnachten kommt es auf den richtigen Termin an, wie ihr sicher wisst, da darf man sich nicht verspäten …“

„Wissen wir!“, rufen die Bärchen im Chor.

„Das machte die Sache auch nicht gerade leichter …“, Opa muss noch ein wenig überlegen.

„Was hast du denn nun gemacht?“, will das rote Bärchen wissen.

„Was denn, was denn?“, fragt das gelbe.

 

„Nun ja“, Opa krault sich am Kinn, „da blieb mir … äh … keine andere Wahl … also, keine andere Wahl, keine andere Wahl … keine andere Wahl, da hab ich einfach den nächsten Wal herbeigerufen.“

„Ach, nee, zufällig war gerade ein Wal in der Nähe“, kommentiert das kleine rote Bärchen und man kann ganz deutlich einen gewissen schnippischen Unterton heraushören, „so ein Zufall aber auch.“

Der alte Käpt’n lässt sich nicht beirren. „Das war kein Zufall. Es gibt jede Menge Wale im Stillen Ozean, müsst ihr wissen. Der Stille Ozean ist voller Wale. Wale lieben die Stille …“

Hein Blöd meldet sich. Er hat mal gehört, dass die Wale auch ergreifend singen können und dass sie dann immer solche schaurigen Gesänge machen. Die sollen sogar ziemlich laut sein.

Davon haben die Bärchen auch schon gehört. Der Gesang der Wale ist schließlich weltberühmt, besonders der Gesang der Buckelwale.

 

„Eben! Das ist es ja“, Opa Blaubär kann überhaupt nicht verstehen, dass man seine Erzählung anzweifeln kann. „Habt ihr euch jemals so einen Gesang der Wale angehört?“, fragt er.

Die Bärchen nicken. Hein Blöd auch.

„Na, also. Dann wisst ihr Bescheid. Dann könnt ihr euch vorstellen, wie sehr sich so ein Wal nach der Stille sehnt. Sobald so ein Gesang vorbei ist, sobald die Wale, die sich das anhören mussten, den schier endlosen Singsang überstanden haben, zischen sie so schnell sie können ab in den Stillen Ozean. Da haben sie endlich wieder ihre Ruhe. Da darf nicht gesungen werden. Deshalb heißt er ja auch Stiller Ozean und deshalb ist er der Ozean besonders beliebt bei den Walen. Da waren gerade wieder jede Menge da. Da musste ich nur einen herbeiwinken.

Die Bärchen lassen das ausnahmsweise durchgehen, weil sie wissen wollen, wie es weitergeht. Richtig überzeugt wirken sie allerdings nicht.

 

 

 

 

Na, gut. Opa erzählt weiter: „Ich habe also einen Wal herbeigewinkt und habe ihn gebeten, dass er uns das letzte Stückchen bis zur Weihnachtsinsel abschleppt. Dafür habe ich ihm eine doppelte Flasche Lebertran versprochen. Mit Schuss. Als Belohnung …“

 

Jetzt reicht es aber. Das lassen sich die Bärchen nicht bieten.

„Wo hattest du denn plötzlich die doppelte Flasche Lebertran her?, will das rote Bärchen wissen. „Hä?“

„Das würde mich auch sehr stark interessieren“, sagt das gelbe.

„Eben hast du noch gesagt, ihr hättet nichts mehr zu knabbern gehabt – und nichts zu trinken“, sagt das grüne Bärchen. „Genau. Das hast du selber gesagt. Wo willst du dann plötzlich die doppelte Flasche Lebertran hergenommen haben?“

 

„Naja“, sagt Opa und wirkt etwas kleinlaut, „ich hatte natürlich keinen Lebertran dabei, wie ich schon sagte …“

„Das heißt …“, fängt das rote Bärchen an.

„ … du hast den Wal …“, sagt das gelbe.

„ … reingelegt! Du hast ihn betrogen! Alter Lügenbär!“, schimpft das grüne.

Alle motzen und schimpfen gleichzeitig: „Opa Das ist nicht fair! Unfair, unfair, Lügenbär!“

„Nun ja“, muss Opa zugeben, „mir blieb ja nichts anderes übrig, nich‘?“

„Unfair, unfair, Lügenbär!“, rufen die Bärchen unbeirrt im Chor. Auch Hein Blöd stimmt mit in den Schlachtruf ein: Unfair, unfair, Lügenbär!“

 

Opa winkt ab.

„Ganz so schlimm war es nun wieder auch nicht. In Seefahrerkreisen nennt man so was ein Wal-Versprechen. Da muss man sich nicht unbedingt dran halten. Es war ja auch für einen guten Zweck. Auf hoher See kann man sich das ausnahmsweise leisten. An Land wird das regelmäßig gemacht.“

Da sind die Bärchen still.

Opa nickt zufrieden: „So kamen wir doch noch rechtzeitig zur Weihnachtsinsel, die Elche erholten sich erstaunlich schnell und konnten helfen, die Geschenke auszutragen, die dann ja auch alle pünktlich ausgeliefert wurden. Alles wurde gut. Nur den netten Wal musste ich enttäuschen. Leider. Tja, so war das. Und nun wird aufgeräumt, los!“

 

 

 

 

„Wir denken gar nicht dran“, verkündet das rote Bärchen.

„Was?!“ Opa Blaubär guckt verdattert wie eine Flunder, die zum ersten Mal ein U-Boot sieht. „Aber das war doch so abgemacht: erst ne Geschichte, dann wird aufgeräumt. Das war abgemacht. Das habt ihr versprochen.“

„Ja, weißte, Opa“, erklärt das grüne Bärchen, „in Seefahrerkreisen nennt man so was ein Wal-Versprechen. Da muss man sich nicht unbedingt dran halten.“

„Außerdem“, sagt das gelbe Bärchen, „war die Geschichte von vorne bis hinten erstunken und erlogen.“

 

Opa Blaubär kann es nicht fassen: „Wie bitte?! Meine Geschichten sollen gelogen sein?!“

„Eine Weihnachtsinsel, zu der man nicht hinsegeln kann, weil da absolute Windstille herrscht, also das“, sagt das rote Bärchen, „das kannste deinem Frisör erzählen.“

„Und diese Sache mit den Elchen …“, das grüne Bärchen schüttelt heftig den Kopf.

„Welchen Elchen?“, fragt Hein Blöd.

Die Bärchen erinnern Hein daran, dass Opa gerade die Geschichte erzählt hätte, wie mal eine ganze Fuhre Elche zur Weihnachtsinsel gebracht hat.

„Ah ja, ich erinnere mich“, Hein Blöd überlegt noch ein wenig. „Aber Käpt’n. Das war nicht richtig so. Da stimmte was nicht mit den Viechern. Die Elche waren nämlich selber welche.“

Opa Blaubär sagt nichts mehr.

 

„Stellt euch vor!“ Das rote Bärchen kichert. „Stellt euch vor, es klingelt plötzlich, und draußen steht tatsächlich ein Elch und bringt Weihnachtsgeschenke, so wie uns der Alte das erzählt hat. Das passiert nie und nimmer …“

Alle lachen – außer Opa Blaubär  und reden wieder wild durcheinander.

„So ein Quatsch aber auch!“

„Das ist völlig unmöglich!“

„Wieder mal typisch für Opis Seemannsgarn.“

„Alles Lüge.“

„Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.“

 

 

 

 

Klingel-lingel-ling.

Oha! Es klingelt. Na so was!

Opa erhebt sich mühsam, schlurft zur Tür und macht auf. Draußen vor der Tür steht ein Elch. An seinem Geweih baumeln Pakete, die schön eingewickelt sind mit kleinen Schleifchen dran.

„Immer rein in die gute Stube!“, ruft der Opa.

Die Bärchen staunen.

Hein Blöd auch.

 

Der Käpt’n strahlt wie ein Honigkuchenpferd: „Da seht ihr es selber, mit eigenen Augen, ihr ungläubigen Landratten! Bitte schön: der Weihnachtselch! Er kommt auch zu uns. Das gibt noch ne richtig schöne Bescherung. Nun kann es Weihnachten werden. Übrigens ist der Elch ein guter Bekannter von mir … lange nicht mehr gesehen … Na, Alter?“

 

Opa nimmt dem Elch die Geschenke ab und legt sie auf den Tisch. Es sieht verheißungsvoll aus. Das Paket für das kleine rote Bärchen ist in rotes Papier eingewickelt, das Paket für das kleine grüne Bärchen in grünes Papier, und für das kleine gelbe Bärchen gibt es ein gelbes Paket. Das Geschenk für Hein Blöd sieht so aus, als wäre es ein eingepackter Rettungsring. Aber wer weiß das schon so genau. Weihnachten ist die Zeit der kleinen Geheimnisse und der Überraschungen.

 

„Das wird noch nicht ausgepackt!“, bestimmt Opa Blaubär. „Das wird alles unter den Tannenbaum gelegt und wird erst ausgewickelt, wenn ihr vorher ordentlich aufgeräumt habt, und zwar ohne zu maulen, jawohl!“

 

Opa Blaubär verabschiedet sich noch vom Elch, der hätte sicher noch viel zu tun, vielleicht würden sie sich nächstes Jahr wiedersehen.

„Bis dann, tschüs!“

 

Eh der Elche sich wieder trollen kann, kommen die drei Bärchen angewetzt, und jedes Bärchen reicht dem Elch eine Scheibe Knäckebrot, die sie schnell aus der Kajüte geholt haben – als kleine Stärkung für unterwegs. Außerdem gehört es sich so, dass man die Postboten und Lieferanten belohnt.

Der Elch bedankt sich freundlich, wackelt ein bisschen mit dem Geweih und nuschelt irgendwas von „Taxi Mücke, Knä-cke-brö-de-nen, Taxi Mücke!“ – oder so ähnlich. Doch das können die Bärchen nicht verstehen. Nicht so schlimm. Mücken gibt es zum Glück in dieser Jahreszeit sowieso nicht.

Aber Weihnachten ist doch immer wieder für eine kleine Überraschung gut und der alte Opa kann wirklich erstaunliche Geschichten erzählen. Geschichten, die nicht unbedingt gelogen sind – und schon ist der Weihnachts-Elch wieder weitergezogen.

 

 

 

 

 

 

100 Jahre Käpt’n Blaubär

 

 

In diesem Jahr hatten wir ein besonderes Jubiläum. Vor 30 Jahren starteten die „Seemannsgarn“-Geschichten mit Käpt’n Blaubär in der ‚Sendung mit der Maus‘. Ich selber bin in diesem Jahr 70 geworden. 30 und 70 sind zusammen 100.

 

 

Mit Büchern wie zu Hause

 

Die Feier zu meinem siebzigsten Geburtstag ist ausgefallen, auch die Jubiläums-Tournee, die ich mit dem Käpt’n, mit Hein Blöd und den drei kleinen Bärchen unternehmen wollte. Schade. Mit der Mannschaft hatte ich in den letzten Jahren unzählige Schulen und Bibliotheken besucht und mich dabei manchmal wie zu Hause gefühlt.

 

Dabei muss man wissen, dass ich kurz nach dem Krieg in eine Zwergschule gehen musste – es ging nicht anders –, mein Vater war zugleich mein Lehrer, das Schulhaus war zugleich unser Wohnhaus und der Klassenraum war zugleich die einzige Bibliothek weit und breit. So kam schon früh alles zusammen.

 

 

Drehbücher drehen bis man schwindelig wird

 

Ich hatte schnell den Dreh raus, wie man Lügengeschichten schreibt und habe gleich eine Menge Drehbücher für das Fernsehen geschrieben. Das hat mir sogar richtig Spaß gemacht, aus Herzenslust zu lügen und mich so dumm anzustellen, wie es nur Hein Blöd darf und es die Polizei ansonsten nicht erlaubt.

 

Die Drehbücher, die ich für die ‚Sendung mit der Maus‘ geschrieben habe, habe ich dann aber doch lieber so lange zurückgedreht, bis am Ende wieder richtige Bücher daraus geworden sind. Bücher mag ich nämlich lieber als Fernsehgeräte. Deshalb wollte ich auch unbedingt mit den Büchern auf Lesereise gehen.

 

 

Was ist das Beste, das es gibt?

 

Bücher habe ich immer im Gepäck. Ich habe auch in der Wohnung einige Bücher rumliegen und ich habe einen Mantel mit extra großen Taschen, in die gleich mehrere Taschenbücher passen. Ich lese gerne. Ich habe den Kindern erzählt, dass Lesen sowieso das Beste ist, was es gibt. Weil es etwas ist, das immer besser wird, je mehr man davon macht.

 

Das ist nicht bei allen Tätigkeiten so. Manche hängen einem nach gewisser Zeit zum Hals heraus. Lesen nicht. Ich habe gelegentlich ein bisschen übertrieben und behauptet, dass ich alles ausprobiert hätte, ich wäre schon Großwildjäger gewesen, Feinschmecker, Weltenbummler, Liebhaber, Millionär, Musikvirtuose, Extremsportler, Pirat und Zauberkünstler – und ich hätte rückblickend festgestellt, dass Lesen das Beste ist, was man machen kann.

 

Lesen ist etwas, von dem man nie genug kriegen kann, dass einem nie zum Hals heraushängt. Also: Ich habe ein bisschen Werbung gemacht für Bücher. Die Lehrer nannten das „Leseförderung“. Manche sprachen von „Lüge“.

 

 

Fernsehen und Käpt’n Blaubär – das passt gut zusammen

 

Aus der Lesereise wurde nichts. Es kam bekanntlich was dazwischen. Ich wollte keine Lesungen machen, bei der die Kinder Masken tragen müssen und ich nicht sehen kann, ob sie gerade lächeln oder doch eher eine Schnute ziehen. Eigentlich mache ich die Lesungen sowieso nur deswegen. Um mir das anzugucken. Das muss man einfach gesehen haben. Das fiel also aus.

 

Über Zoom wollte ich auch nichts vorlesen. Dann kann man auch gleich fernsehen. Die Lügengeschichten vom Käpt’n sind im Fernsehen eigentlich ganz gut aufgehoben. Da haben sie ihre ideale Form gefunden. Mir hat mal ein Kind erklärt, warum diese Geschichten im Fernsehen viel besser ankommen als in Büchern. Es ist nämlich so, hat mir das Kind erklärt, Lesen muss man erst mühsam lernen. Das ist nicht so einfach. Fernsehen dagegen sei eine „natürliche Fähigkeit“. Da habe ich lange drüber nachdenken müssen.

 

 

Mehr als 13einhalb Leben

 

Wie fing alles an? In einem Interview mit dem WDR habe ich von den Anfängen erzählt und Dennis Braun hat verraten, wie es in den folgenden 30 Jahren weitergegangen ist. Zuerst hatte es Gute-Nacht-Geschichten für das ‚Sandmännchen‘ von Walter Moers gegeben, der später auch das Buch von den 13einhalb Leben des Käpt’n Blaubär geschrieben hat. 13einhalb ist noch zu wenig. Es gab mehr.

 

Für die ‚Sendung mit der Maus‘ sollten 104 Folgen ‚Seemannsgarn‘ geschrieben werden (104 kann man gut durch 52 teilen, das ergibt dann 2. Alle 2 Jahren wurden die Episoden wiederholt, weil es bekanntlich alle 2 Jahre neue Kinder gibt …)

 

Also haben wir uns Geschichten ausgedacht: Walter Moers, Rolf Silber (nicht verwandt mit John Long Silver, was viele denken, weil „Silver“ bekanntlich Silber heißt …) und ich. Wolfgang Völz, dem ich auf der Achse einen kleinen Nachruf geschrieben habe, hat dem Bären seine wunderbare Stimme geliehen, er hat ihm den richtigen Brummton verpasst – und dann ging die Reise los, die Mannshaft ging auf große Fahrt.

 

 

Dann ging es rund

 

Die Reise ging durch die Schlafzimmer der Kinder, die nicht einschlafen wollen und durch die Einkaufsläden in den Fußgängerzonen, wenn da ein Kunde nicht so genau wusste, was er kaufen sollte. Nun war alles da. Der Blaubär trat in allen möglichen Verwandlungen auf: Es gab Spiele, Puppen, Fußmatten, Schlauchboote, Tapeten, Eistorten, Briefmarken und … und … und … und zum Beispiel Wärmflaschen mit Käpt’n Blaubär und mit Hein Blöd (die von Hein Blöd war zeitweise die beliebteste Wärmflasche Deutschlands).

 

Doch das Beste gab es immer umsonst. Kinder malten Bilder – einfach so. Und viele Väter und Mütter machten die Erfahrung, dass sie überraschend gut lügen konnten und dachten sich eigene Geschichten aus, mit denen sie die Kleinen in den Schlaf tricksen konnten. Das Blaubär-Geschichten-Erzählen wurde ein neuer Volkssport, bei dem man gar nicht besonders viel trainieren musste. Der Blaubär gehört inzwischen zum Kulturerbe. Hein Blöd noch mehr.

 

Ich habe es selber erlebt, dass mir Kinder eine Geschichte erzählt haben und ich irgendwann gemerkt habe, dass sie mir bekannt vorkommt und ich die mir vor langer Zeit ausgedacht hatte. So also ging es rund.

 

 

 

 

 

 

 

Lieblingsvideos

Die Wahrheit über das Walversprechen

Hier ist ein Brief für euch

 

Lieber Leser!

vielleicht denkt ihr, dass ich euch schon vergessen hätte, weil ich so lange nicht geantwortet habe, aber so ist es nicht. Ich habe euch alle sehr gut in Erinnerung, ganz besonders gut erinnere ich mich an den Jungen mit den kurzen Haaren in der dritten Reihe ganz links (von mir aus gesehen) und an das blonde Mädchen zwei Reihen hinter ihm, die diesen hellgrünen Hosenanzug anhatte, der sehr gut gebügelt war – da habe ich mir gedacht: Oh-la-la, so einen Hosenanzug sieht man ja selten heutzutage, der steht ihr wirklich gut.

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Ein Interview

Fragen und Antworten

 

 

Seit wann sind Sie Kinderbuchautor?

Kinderautor war ich schon mit acht Jahren. Da habe ich Krimis geschrieben. Jedenfalls habe ich damit angefangen. Zum Kinderbuchautor bin ich erst durch ein eigenes Kind gekommen, das 1988 geboren wurde. In der Zeit der Schwangerschaft meiner damaligen Frau fing ich an, die fabelhaften Geschichten für das ‚Große Buch der kleinen Tiere’ zu schreiben, die natürlich in Wirklichkeit von kleinen Menschen handeln und vorweggenommen haben, dass es bald einen kleinen Menschen mehr geben wird. Bei der Gelegenheit bin ich auch wieder in die eigene Kindheit zurückgereist.

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Wie kamen Sie zu den Käpt’n-Blaubärgeschichten?

Ich kannte Walter Moers, der mit Gutenachtgeschichten für das ‚Sandmännchen’ die Figur von Käpt’n Blaubär in Fahrt gebracht hatte, weil wir beide für die Satirezeitschrift ‚Kowalski’ schrieben (wir haben es sogar zu einem gemeinsamen Buch– wenn auch unter Pseudonym – gebracht), außerdem war ich nun als Kinderbuchautor eingeführt. So wurde ich von der ‚Sendung mit der Maus’ angeheuert, um zusammen mit einem dritten Mann, Rolf Silber, an einer Serie für das Fernsehen zu schreiben, die den Käpt’n, Hein Blöd und die drei kleinen Bärchen berühmt gemacht haben.

 

Können Sie in einigen Stichpunkten umreißen, welche Themen Sie in Ihren Kinderbüchern verarbeiten?

Welche Ideen und Werte vermitteln Sie in den Kinderbüchern?

Ich habe eine Tochter. Vermutlich ist das der Grund, weshalb bei mir die Mädchenfiguren besonders gut wegkommen. Sie sind die eigentlichen Helden, die heimlichen Strippenzieher wie beim ‚Kleinen Pirat Riesenbart’ – oder sie treten wie im ‚Schatz der Bananenbieger’ im gemischten Doppel als Bruder und Schwester auf.

Die Blaubär-Geschichten kann man leicht zuordnen: Wenn viel gegessen wird, dann gehen sie wahrscheinlich auf Walter Moers zurück, Geschichten mit ausführlicher Rahmenhandlung sind vermutlich von Rolf Silber. Ich wiederum war für die Familienthemen zuständig: Kindergeburtstag, Weihnachtsinsel, Käpt’n Blaubär erfindet die Pommes frites. Es sind nicht nur Seemanns-, sondern auch Familiengeschichten, aber – das ist das Besondere daran – ohne Papa und Mama. Es gibt nur den Opa und die Enkel. Hein Blöd ist der männliche Trottel. Die Kleinen werden in so einer Szenerie aufgewertet und wissen alles besser.

Ich nicht. Die meisten Geschichten sind sowieso nicht von mir. Ich habe auch selber keinen Überblick mehr über die vielen Nachfolgeerscheinungen. Für das Fernsehen wurden sogar Szenen hinzugenommen, bei der eine echte Frauenfigur (also keine Puppe) dem Käpt’n einen Putzeimer in die Hand drückt, damit er das Deck schrubbt. Nicht etwa weil das auf hoher See so üblich wäre, sondern weil gerade Kinderprogramme zunehmend als Erziehungs- und Umerziehungsmaßnahmen eingesetzt werden.