Hier ist ein Brief für euch

 

Lieber Leser!

vielleicht denkt ihr, dass ich euch schon vergessen hätte, weil ich so lange nicht geantwortet habe, aber so ist es nicht. Ich habe euch alle sehr gut in Erinnerung, ganz besonders gut erinnere ich mich an den Jungen mit den kurzen Haaren in der dritten Reihe ganz links (von mir aus gesehen) und an das blonde Mädchen zwei Reihen hinter ihm, die diesen hellgrünen Hosenanzug anhatte, der sehr gut gebügelt war – da habe ich mir gedacht: Oh-la-la, so einen Hosenanzug sieht man ja selten heutzutage, der steht ihr wirklich gut.


Auch die Lehrerin habe ich in allerbester Erinnerung; ihr könnt von Glück sagen, dass ihr so eine erwischt habt, sie kann so nett husten. Solche Lehrerinnen hatte ich nicht, nie, nie, nie. Ich hatte weniger tolle Lehrer. Die waren sehr streng mit mir und haben oft ohne Grund böse geguckt. Manchmal musste ich zur Strafe Gedichte auswendig lernen, manche davon kann ich immer noch. Aber ich habe die einfach reingelegt. Ich habe die Gedichte nämlich gerne auswendig gelernt, da war es dann für mich keine Strafe mehr, – im Gegenteil: die Gedichte haben mir gefallen. So konnte ich ohne Strafen und mit ganz vielen Gedichten meine Schulzeit überstehen.

 

Ihr habt euch vielleicht schon Gedanken gemacht, warum ich nicht sofort geantwortet habe, aber das hat seine Gründe: Ich bin in der Zwischenzeit von Piraten festgehalten worden. Ich war in Spanien und wurde da in eine dunkle Hütte eingesperrt und sollte nicht eher wieder rauskommen, bis ich die Lebensgeschichte der Piraten aufgeschrieben hatte; denn die konnten selber nicht schreiben – und auch nicht lesen -, wollten aber, dass über ihr Leben ein schönes Buch geschrieben wird, das möglichst zur nächsten Buchmesse erscheinen sollte. Das sollte ich für sie machen. Das Problem war allerdings, dass ich zwar fleißig ihre Geschichten aufgeschrieben habe, aber wenn ich es ihnen dann vorgelesen hatte, gefiel es ihnen nicht und ich musste alles noch mal machen.

Als ich endlich eine Fassung hatte, die ihnen einigermaßen gefiel, glaubten sie nicht, dass es wirklich der Text war, den ich aufgeschrieben hatte. Dummerweise hatte ich ihnen verraten, dass ich gut Text auswendig aufsagen konnte, weil ich das in der Schule gelernt hatte. Sie konnten ja – wie schon gesagt – selber nicht lesen und vermuteten nun, dass ich ihnen einfach nur etwas auswendig aufsage, das ihnen gefällt, – dass es aber gar nicht das ist, was ich tatsächlich aufgeschrieben hatte. Sie sind ziemlich anstrengend – diese Piraten, das muss ich schon sagen. Es war gar nicht so einfach, aus dieser Falle wieder heraus zu kommen, aber ich habe es geschafft.

Und wie?

Das kann ich euch gerne sagen, aber das hattet ihr überhaupt nicht gefragt. Das wolltet ihr gar nicht wissen.

Ihr wolltet wissen, wie viel ich mit meinen Büchern verdiene; wie ich überhaupt auf all die Ideen komme; wie lange ich brauche, um ein Buch zu schreiben; ob ich Haustiere oder womöglich Hobbys habe (oder vielleicht sogar beides); welches Buch sich am besten verkauft hat; ob ich überhaupt noch was anderes mache außer schreiben; wie lange ich brauche, um ein Buch zu schreiben, – und ob man davon leben kann.

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Also gut, dann wollen wir mal:

Angefangen habe ich im Alter von zehn Jahren mit einem Gedicht, das ich für einen Wettbewerb für eine Fernsehsendung eingeschickt habe. Das Gedicht ging so:

 

Kruses kunterbunte Kuh

muht nun munter immerzu.

 

Damit wollte ich den ersten Preis gewinnen. Aber ich habe nicht mal eine Antwort gekriegt vom Fernsehen. Diese Leute vom Fernsehen sind ganz anders als ich, die antworten einfach nicht auf jede Einsendung, und ich glaube auch nicht, dass sie eine so gute Ausrede haben wie ich. Aber man muss natürlich berücksichtigen, dass das Fernsehen damals nur in Schwarz und Weiß war, das waren ganz andere Zeiten damals, da haben sie gute Gedichte noch gar nicht bemerkt. Schon gar nicht, wenn so ein Gedicht von Farben handelt.

Später habe ich die Preisträgerin, die übrigens Angelika Lückemeier heißt, und damals den ersten Preis gewonnen hatte, in einer Hafenkneipe getroffen und sie im Laufe der Zeit näher kennen gelernt. Als ich sie eines Tages richtig gut kannte (ich wusste, wann sie Geburtstag hat, was ihre Hosenanzüge gekostet haben, und ich kannte alle Telefonnummern ihrer Freundinnen auswendig), da hat sie mir auch ihr Sieger-Gedicht verraten, es geht so:

 

Mein Name ist Angelika.

Vorne A und hinten A

 

Ich habe gesagt: „Nicht schlecht, gutes Gedicht“, aber gedacht habe ich etwas anderes. Ehrlich gesagt, fand ich das ungerecht, mein Gedicht war viel besser: in meinem Gedicht kommen 8 Us vor, in ihrem nur ein einziges U – sagt selber: welches Gedicht ist besser? Ihr Gedicht mag ja ganz gut sein für Anfänger, meins ist für Fortgeschrittene.

Ich habe dann leider eine unvorsichtige Äußerung gemacht und gesagt: „Frauen haben es heutzutage irgendwie besser“ – das tut mir inzwischen leid.

Angelika redet seitdem nicht mehr mit mir.

Ich habe mir fest vorgenommen, in Zukunft mit solchen Äußerungen etwas vorsichtiger zu sein. Aber so hat alles angefangen. Es hat damit angefangen, dass ich ein Gedicht geschrieben habe, in dem so viele Us vorkommen wie nur irgend möglich, dass ich trotzdem keinen Preis gekriegt habe, obwohl ich einen verdient hätte – und dass ich trotzdem weiter gemacht habe, mit Texten für Fortgeschrittene.

Aus Trotz.

Aus Sturheit.

Weil ich so ein norddeutscher Dickkopf bin.

Ich habe immer gedacht: Jetzt erst recht.

Diese Hartnäckigkeit hat mir die Kraft gegeben durchzuhalten.

So habe ich ein Buch nach dem anderen geschrieben.

Für manches Buch habe ich eine Woche gebraucht, für manches ein Jahr; einmal hatte ich sogar so schnell geschrieben, dass ich Krämpfe in den Fingern kriegte und erst mal ein Hobby brauchte.

Mein Hobby ist Lesen. Da hat sich der Krampf langsam wieder gelegt.

Haustiere habe ich nicht. Nur Mücken. Nur im Sommer.

Für mache Bücher habe ich viel Geld gekriegt, für manche wenig. Einmal hatte ich so viel gekriegt, dass ich das Geld verstecken wollte und ich hatte mir dazu auch schon eine Schatzkarte gezeichnet, auf der genau markiert war, wo das Geld vergraben sein sollte, damit ich es auch später wieder finde. Als ich nun an dem eingezeichneten Ort bei Vollmond ein Loch gegraben habe, habe ich da zu meiner Überraschung schon einen vergrabenen Geldschatz gefunden. Da war mir einer zuvor gekommen. Das kann passieren. Davon darf man sich nicht entmutigen lassen.

Wie komme ich überhaupt auf die ganzen Ideen?

Ganz einfach: Meine Ideen sind aus dem Leben gegriffen. Schon mein erstes Gedicht war so. Ich lebte damals auf dem Land, mein Nachbar hieß Kruse und der hatte eine Kuh, die ununterbrochen muhte und schon vor der Einführung des Farbfernsehens mehrfarbig war.

Aber bald schon merkte ich, dass mein Leben nicht ausreichte, da musste noch was dazu kommen, eine bunte Kuh alleine reicht nicht. Wenn ich immer nur ein langweiliges Leben führe, habe ich nichts, worüber ich schreiben kann.

Also wollte ich sofort ein aufregendes Leben führen, möglichst viele Abenteuer bestehen und Gefahren meistern. Ich bin also zur Polizei gegangen und habe gefragt, was man denn heute alles so Gefährliches tun kann, wo die größten Gefahren lauern, die meisten Unfälle passieren und wo heutzutage die größten Abenteuer zu bestehen sind.

Da hat die Polizei zu mir gesagt: „Die meisten Unfälle passieren heutzutage im Haushalt. Das ist statistisch erwiesen.“

Gut, habe ich gesagt, danke schön. Nun wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich stürzte mich in die Hausarbeit. Am meisten passiert beim Bügeln. Ich habe inzwischen eine eindrucksvolle Sammlung von Bügeleisen, damit auch ordentlich was los ist bei mir im Haushalt. Doch, doch, bei mir zu Hause ist es richtig gefährlich. Es stimmt nicht,dass es Frauen heutzutage irgendwie besser haben – wie konnte ich nur so was Dummes sagen, tut mir leid, Angelika. Dafür kommen aber ab und zu ganz gute Ideen dabei raus.

Es gäbe noch viel zu erzählen.

Doch … Oh … Jetzt muss ich dringend Schluss machen, ich höre von draußen Stimmen – laute Stimmen, die spanisch sprechen, sehr laute Stimmen sogar, die mir bekannt vorkommen. Das hört sich gar nicht gut an … ich sagte ja, dass es bei mir richtig gefährlich ist, drückt mir die Daumen! Ich muss mich ganz fix verabschieden:

Euer

Bernhard

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